20.04.2020 | Prof. Dr. Konrad Wimmer
Geschäftsmodelle & Nachhaltigkeit
Sustainable Finance und Coronakrise – Ein Widerspruch?
Oder: Nachhaltigkeit – ja gerne, aber bitte nicht jetzt!
Mitten in dieser Krise stellt sich die Frage, was eigentlich aus den Bestrebungen zu mehr Nachhaltigkeit und der Transformation hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft geworden ist, in der die Finanzwirtschaft eine zentrale Rolle spielt.
Wirtschaft und Gesellschaft befinden sich aktuell im Sog der weltweiten Coronakrise. Jede/r Bürger/in ist von den Entwicklungen der letzten Monate und Wochen betroffen und wird dies noch einige Zeit sein. Die Bundesregierung, die Regierungen der Länder und die EU versuchen mit allen Mitteln die wirtschaftlichen Auswirkungen zu begrenzen.
Mitten in dieser Krise stellt sich die Frage, was eigentlich aus den Bestrebungen zu mehr Nachhaltigkeit und der Transformation hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft geworden ist, in der die Finanzwirtschaft eine zentrale Rolle spielt. Die gute Nachricht aus der Krise ist, dass sich gezeigt hat, dass die Regierungen schnell handlungsfähig sind, wenn es darauf ankommt. Die schlechte Nachricht ist sicher, dass jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann.
Es muss also bereits jetzt der Spagat geschafft werden durch die kurz- und mittelfristige Bewältigung der Coronakrise das langfristige Erreichen der Nachhaltigkeitsziele nicht zu gefährden bzw. sogar zu unterstützen. Dies sieht der Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung in seiner aktuellen Stellungnahme zu dem Thema ebenfalls so (https://sustainable-finance-beirat.de/aktuelles). Der Sustainable Finance-Beirat soll bei der Erarbeitung einer nationalen Sustainable Finance-Strategie beraten und konkrete Handlungsempfehlungen entwickeln, um den Finanz- und Wirtschaftsstandort Deutschland langfristig zu stärken.
Bereits Anfang März hatte der Beirat einen Zwischenbericht zur Bedeutung der Finanzwirtschaft für die Transformation der Wirtschaft vorgelegt (https://sustainable-finance-beirat.de/wp-content/uploads/2020/03/200306_SFB-Zwischenbericht_DE.pdf). Die dort gemachten Vorschläge hält der Sustainable Finance-Beirat auch unter den geänderten Rahmenbedingungen für zielführend, um beispielsweise die Resilienz der Wirtschaft generell zu stärken oder den Finanzierungsbedarf des Bundes über die Ausgabe von sogenannten grünen Anleihen zu decken. Dies kombiniert die aktuell notwendige kurzfristige Existenzsicherung mit den Nachhaltigkeitszielen und stellt so keinen Zielkonflikt, sondern eine vorausschauende Verzahnung dar.
Dem Zwischenbericht des Beirats folgend, soll Deutschland führend im Vorantreiben der Sustainable Finance werden. Deshalb sollen möglichst viele Finanzmarktakteure die Transformation zu einem nachhaltigen Wirtschafts- und Finanzsystem – im Sinne der UN Nachhaltigkeitsziele und des Pariser Klimaschutzabkommens - finanzieren und auch vom zu erwartenden Erfolg profitieren. Die sozialen und ökologischen Herausforderungen, aber auch der globale Wettbewerb, machen diese Transformation unverzichtbar. Sie soll die aktuellen Umweltbelastungen stark reduzieren, was sich in mehrfacher Hinsicht sehr positiv auf unsere Gesellschaft auswirken dürfte: Innovationsschub, nachhaltig abgesichertes Wachstum, Arbeitsplatzsicherheit, Wohlstandssicherung und gesellschaftliche Stabilität und die Chance für zukünftige Wettbewerbsfähigkeit.
Genau diese Eigenschaften werden auch nach Bewältigung der akuten Coronakrise gefordert sein, um die Auswirkungen der Krise auf einem akzeptablen Maß zu halten.
Um das Transformationsvorhaben zum Erfolg zu führen, müssen insbesondere die öffentliche Hand, die Realwirtschaft und die Finanzwirtschaft gemeinsam agieren. Die Bundesregierung wird die Leitplanken zur Neuausrichtung des Wirtschafts- und Finanzsystems festlegen. Sustainable Finance ist dabei als zentrale, ganzheitliche und übergreifende Aufgabe für den Finanzsektor zu verstehen, wobei folgende ausschlaggebende Handlungsansätze zu nennen sind: den CO2-Preis lenkungswirksam, d.h. konform zu den definierten Nachhaltigkeitszielen, zu gestalten, Transformationspfade für alle Wirtschaftssektoren zu entwickeln und Rahmenbedingungen für nachhaltige realwirtschaftliche Investitionen zu schaffen.
Hervorgehoben wird die Förderung der Transformation „vor-Ort“; hier sollen etwa staatliche Förderprogramme und Garantien mit Hilfe der Sparkassen und Genossenschaftsbanken umgesetzt werden.
Die Unternehmen der Realwirtschaft sollten sich auf eine Ausweitung der Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung als „integrierte Berichterstattung“ vorbereiten – sie soll schrittweise auf mittelgroße Kapitalgesellschaften, KMUs und Unternehmen mit besonderen Risiken ausgeweitet werden.
Nicht neu, aber nach wie vor aktuell ist das Ziel, Gemeingüter und soziale Kosten stärker in der Rechnungslegung zu erfassen und externe Kosten zu internalisieren und damit in die Güterpreise einzubeziehen. Nachhaltige Produkte werden damit relativ günstiger werden im Vergleich zu nicht-nachhaltigen Produkten.
Die Handlungsansätze im Zwischenbericht richten sich in erster Linie an die Bundesregierung. Sie bilden aber auch den Orientierungsrahmen für allen Wirtschafts- und Finanzmarktakteure. Es bleibt abzuwarten, welche Empfehlungen an die Bundesregierung der Abschlussbericht letztendlich enthalten wird und wie stark die Erfahrungen aus der Coronakrise noch in diesen eingehen werden.
Eine Auswirkung ist bereits, dass die Konsultationsfrist bis zum 3. Mai 2020 verlängert wurde. Unter https://sustainable-finance-beirat.de/konsultation/ ist es daher noch möglich, Stellung zu den Punkten des Beirats zu beziehen.
Wenn der Abschlussbericht vorliegt, werden wir über diesen und die Folgen für die Finanzwirtschaft berichten.